Herbst 1945: Die Provisorische Staatsregierung unter Karl Renner wurde auch in den westlichen Bundesländern anerkannt

josef

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Vor 75 Jahren: Ja zur Renner-Staatsregierung
Erst im Herbst 1945 wurde die Provisorische Staatsregierung unter Karl Renner auch in den westlichen Bundesländern anerkannt. Von 24. bis 26. September 1945 wurde diese Zustimmung in der Länderkonferenz im Niederösterreichischen Landhaus in Wien erteilt.

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Der 27. April 1945 gilt mit der Unabhängigkeitserklärung durch die Regierung Renner als „Geburtstag“ der Zweiten Republik. Von diesem Datum an dauerte es aber noch einmal fünf Monate, bis die Regierung im Zuge der Länderkonferenz in Wien auch in den westlichen Bundesländern, die nicht von den Sowjets besetzt waren, anerkannt wurde.

„Renner war sich darüber im Klaren, dass er die Vertreter der westlichen Bundesländer, die in erster Linie der ÖVP angehörten, einbinden muss. Es war ihm auch früh klar, dass Wahlen kommen müssen und eine demokratische Verfassung, vor allem jene aus dem Jahr 1929, wieder aufleben sollte“, so der Zeithistoriker Stefan Eminger vom Niederösterreichischen Landesarchiv in St. Pölten.

Wahlvorbereitung als umstrittenes Thema
Die Delegierten der neun Bundesländer tagten von 24. bis 26. September 1945 im Niederösterreichischen Landhaus in der Wiener Herrengasse. Aus jedem Bundesland wurde bei diesem Treffen ein Vertreter in die Regierung aufgenommen. Außerdem wurden freie Wahlen vereinbart, die vom neuen, aus Oberösterreich stammenden Unterstaatssekretär Josef Sommer (ÖVP) und nicht vom kommunistischen Innenminister Franz Honner vorbereitet werden sollten.

ORF/ÖNB/Fritz Zvacek
Länderkonferenz im September 1945: Am Rednerpult Staatskanzler Karl Renner, links neben ihm die Staatssekretäre Johann Koplenig und Adolf Schärf (v. l.), in der Reihe davor (v. l.) die Staatssekretäre Julius Raab, Eduard Heinl, Franz Honner, Georg Zimmermann, Josef Gerö, Johann Böhm, Andreas Korp und Ernst Fischer

Gerade an der Frage der Wahlvorbereitung drohte die Konferenz, bei der erstmals Vertreter der Bundesländer offiziell in Wien zu Gast waren, zuvor zu scheitern. Nicht zuletzt wegen der in den ersten Nachkriegsmonaten schlechten Nachrichtenlage und dem im Westen verbreiteten Misstrauen gegenüber dem zunächst nur sowjetisch besetzten Wien war die bereits am 27. April gegründete und von der Sowjetunion anerkannte Regierung Renner im Westen nicht anerkannt worden. Sie galt als kommunistische Marionette.

Als besonders problematisch wurde in diesem Zusammenhang die personelle Besetzung des Staatssekretariats für Inneres, dem die Exekutive unterstand, mit dem Kommunisten Honner gesehen. Aus dem Staatssekretariat für Inneres wurde erst im Dezember 1945 in der Bundesregierung Figl I das Innenministerium. Außerdem befürchteten die Vertreter der westlichen Bundesländer, dass ein Kommunist keine wirklich freien Wahlen durchführen werde.

Der Kompromissvorschlag Sommer war schließlich für alle Beteiligten tragbar. „So konnte man die Bedenken der Vertreter der westlichen Bundesländer zerstreuen. Die Angst einer möglichen Beeinflussung der Wahl war vorhanden, sie wurde aber durch diese Lösung ausgeräumt“, so Eminger. Eine Ablösung Honners wäre für Renner angesichts der zu erwartenden negativen Reaktion der Sowjets jedenfalls nicht durchführbar gewesen.

Politiker aus dem Westen zur Zusammenarbeit bereit
„Die Wiedererrichtung eines föderalistischen Bundesstaates – im Jahr 1945 waren auch andere Optionen möglich – war weitgehend von einem tragfähigen Konsens zwischen den Vertretern der politischen Institutionen der österreichischen Bundesländer abhängig“, so der Historiker Ernst Bezemek.

Die Politiker der westlichen Bundesländer waren vor der Länderkonferenz bereits seit Juli untereinander in Kontakt gewesen, um das weitere Vorgehen zu beraten. Sie standen dabei unter dem Einfluss der Westalliierten, die eine Anerkennung der von ihnen als kommunistisch empfundenen Regierung Renner bis zum 20. Oktober ablehnten. Doch die bürgerlichen Politiker aus Westösterreich einigten sich bei drei Treffen in Salzburg schließlich auf eine Zusammenarbeit mit dem in Wien amtierenden Kabinett. Auftritte von Leopold Figl, Julius Raab und Felix Hurdes (alle ÖVP) in Salzburg hatten wesentlichen Einfluss auf diese Entscheidung. Die SPÖ-Politiker hatten Renner ohnehin vertraut.

ORF/ÖNB/Fritz Zvacek
Am Rednerpult Karl Renner, links neben ihm Johann Koplenig und Leopold Figl (v.l.), rechts Adolf Schärf, in der Reihe davor (v.l.) Franz Honner, Georg Zimmermann, Josef Gerö, Johann Böhm, Andreas Korp und Ernst Fischer
ORF/ÖNB/Fritz Zvacek

Die Abhängigkeit der österreichischen Spitzenpolitiker von den Besatzungsmächten war in Zusammenhang mit der Länderkonferenz deutlich zu spüren. Die letzte Entscheidung über die Genehmigung zum Überschreiten der Demarkationslinie zwischen West- und Ostösterreich für die von Renner geladenen Politiker blieb bei den Alliierten. Trotz einer Reihe von Missverständnissen und widersprüchlichen Befehlen gelang es aber doch allen Delegierten, in die Hauptstadt zu gelangen – wenn auch zum Teil mit Verspätung: Die Tiroler Vertreter kamen erst am 25. September an.

Positive Bilanz bei allen Beteiligten
Über die Länderkonferenz im September 1945 im Niederösterreichischen Landhaus wurde von allen Beteiligten eine positive Bilanz gezogen, so Eminger: „Es war eine Konferenz, bei der die westlichen und die östlichen Bundesländer zueinandergefunden haben. Sie hatte als Ergebnis, dass die Westalliierten die Provisorische Staatsregierung anerkannt haben.“

Bis zur ersten freien Wahl am 25. November 1945 sollten sich die Ländervertreter in der Folge noch zweimal in Wien treffen. Am 9. und 10. Oktober wurden der Termin der Nationalratswahl und der Ausschluss ehemaliger Nationalsozialisten von der Wahl festgelegt. Außerdem wurde über gegenseitige Gebietsansprüche zwischen Österreich und seinen Nachbarstaaten beraten. Dazu gehörte die bei dem Treffen erhobene Forderung nach einer Rückgabe Südtirols an Österreich. Am 25. Oktober schließlich wurde von der dritten Länderkonferenz an die Alliierten appelliert, die große materielle Not der Bevölkerung durch Hilfsmaßnahmen zu lindern.

23.09.2020, Reinhard Linke und Alexander Katholitzky (Archivrecherche), noe.ORF.at

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