NDR 06.08. 23.00 Uhr - Der Führer ging - die Nazis blieben

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Der Führer ging - die Nazis blieben "Nachkriegskarrieren in Norddeutschland"

München war die Hauptstadt der Bewegung, Berlin die Reichshauptstadt des Führers - und Schleswig Holstein? Ganz oben in Deutschland zogen sich Nazis zurück, nachdem der Krieg verloren war und Adolf Hitler Selbstmord verübt hatte. Führende Nationalsozialisten nutzten das Durcheinander der Nachkriegsjahre, um sich in Schleswig-Holstein eine neue Karriere aufzubauen. Sie rechneten auf Sympathie in einem Land, in dem schon 1932 53 Prozent der Bürger an der Wahlurne für die Nationalsozialisten gestimmt hatten.

Im Durcheinander von Kriegsheimkehrern und 1,2 Millionen Flüchtlingen wurde nicht viel nachgefragt - zum Teil halfen schleswig-holsteinische Einrichtungen tatkräftig nach, Nazigrößen zu integrieren. So stattete zum Beispiel die Marineschule Mürwik Mitarbeiter der Inspektion der Konzentrationslager mit falschen Soldbüchern und Marineuniformen aus. Mitarbeiter des Flensburger Polizeipräsidiums stellten Altnazis mehr als 2.000 falsche Kennkarten aus. Die schleswig-holsteinische Kriminalpolizei gewährte zahlreichen SS- und Gestapo-Funktionären Unterschlupf. Die ersten Chefs der Kripo waren zuvor leitende Beamte des Reichssicherheitshauptamtes gewesen. Offene Stellen besetzten sie mit alten Kameraden.

Auch die Justiz diente als Fluchtburg. Zum Beispiel Adolf Voss. Er war ein Ziehsohn von Roland Freisler und brachte es 1954 zum Generalstaatsanwalt in Kiel. Auch schleswig-holsteinische Nachkriegsstaatsanwälte und Richter waren schon im Dritten Reich an Sondergerichten im Osten eingesetzt. Im konservativen Kabinett Bartram (1950) war nur ein Minister nicht in der NSDAP gewesen.

Selbst im Sozialministerium und in der Lehrerausbildung gab es braune Netzwerke. An der Pädagogischen Hochschule in Flensburg kamen ehemalige NS-Ideologen wie der Pädagogikprofessor Theodor Wilhelm und der Geschichtsprofessor Hans Joachim Bayer unter.

Publik gemacht wurden solche Karrieren in Schleswig-Holstein selten. Der Skandal um den Psychiater Werner Heyde, der sich nach dem Krieg Fritz Sawade nannte, ist schon fast die Ausnahme. 1959 war die Öffentlichkeit geschockt, dass der mit Haftbefehl gesuchte und im Fahndungsbuch ausgeschriebene NS-Massenmörder Prof. Werner Heyde sich in Flensburg eine neue Karriere hatte aufbauen können. Unter falschem Namen, Dr. Fritz Sawade, arbeitete er dort unbehelligt als medizinischer Gerichtsgutachter und Obergutachter des Landessozialgerichts Schleswig. Dabei war in Flensburger Fachkreisen und auch in Schleswig und Kiel seine tatsächliche Identität ein offenes Geheimnis. 1959 flog Heyde alias Sawade nach einem Streit unter Kollegen auf. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss - zunächst von der CDU und Ministerpräsident Kai-Uwe von Hassel bekämpft - deckte den Skandal auf. Es stellte sich heraus, dass Heyde seine gutbezahlte Gutachtertätigkeit unbehelligt und mit Wissen höchster Beamter der Kieler Landesregierung und der medizinischen Fakultät sowie der Sozialgerichtsbarkeit hatte führen können. Heyde entzog sich dem Prozess durch Selbstmord.

Der Film zeigt eindringlich anhand von Interviews mit Zeitzeugen, wie z. B. der Tochter von Ernst Kracht, der von der Kaiserzeit bis zur Bundesrepublik ungebrochen Karriere in Flensburg gemacht hatte, und dem von den Nazis verfolgten schleswig-holsteinischen Chronisten Rudolf Asmus, wie dicht das braune Netz der gegenseitigen Fürsorge gewebt war. Zahlreiche Dokumente aus Gerichtsakten, die nun erstmals einsehbar sind, runden das Bild ab.

Der Führer ging - die Nazis blieben - Historische Dokumentation Mittwoch, 06.08.2003
Beginn: 23.00 Uhr Ende: 23.45 Uhr Länge: 45 Min.

VPS: 23.00
 
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