Ukraine-Krieg heizt Hungerkrisen an
Der russische Angriffskrieg sorgt in der Ukraine für unfassbares Leid. Doch der Konflikt könnte auch katastrophale Folgen in anderen Teilen der Welt haben. Der Ukraine-Krieg werde Nahrungsmittelkrisen auf der Welt verschärfen und Millionen weitere Menschen in Armut und Hunger treiben, warnen Hilfsorganisationen. Sie fordern eine Aufstockung der Hilfsmittel – wenn auch nur als einen ersten Schritt.
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Eindringliche Warnungen: Ukraine-Krieg heizt Hungerkrisen an

Der russische Angriffskrieg sorgt in der Ukraine für unfassbares Leid. Doch der Konflikt könnte auch katastrophale Folgen in anderen Teilen der Welt haben. Der Ukraine-Krieg werde Nahrungsmittelkrisen auf der Welt verschärfen und Millionen weitere Menschen in Armut und Hunger treiben, warnen Hilfsorganisationen. Sie fordern eine Aufstockung der Hilfsmittel – wenn auch nur als einen ersten Schritt.
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„Je nach Dauer des Krieges könnten zwischen 33 und 47 Millionen Menschen zusätzlich in Hunger und Armut abrutschen“, sagte der Direktor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) in Deutschland, Martin Frick, der dpa. Ganz ähnlich äußerte sich der Generalsekretär der deutschen Welthungerhilfe, Mathias Mogge. Hungersnöte seien nicht mehr vermeidbar. „Die Zahl der Menschen, die schon am Rande einer dramatischen Hungersnot stehen, ist durch den Krieg auf 45 Millionen gestiegen. Drei Millionen mehr als noch Anfang des Jahres“, sagte Mogge der „Rheinischen Post“ (Donnerstag-Ausgabe).
Hinter den aktuellen Nahrungsmittelkrisen stehen Dürren, Überschwemmungen, Konflikte, aber auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der CoV-Pandemie in den vergangenen zwei Jahren. So stiegen die Lebensmittelpreise in Westafrika in den vergangenen fünf Jahren um bis zu 30 Prozent. Der russische Angriff auf die Ukraine beschleunigt den Preisanstieg zusätzlich.
Auswirkungen auf Agrarmärkte
Sowohl die Ukraine als auch Russland sind unter anderem wichtige Getreideexporteure. Russland produziert überdies große Mengen an synthetischem Dünger beziehungsweise liefert mit Erdgas bisher den Hauptrohstoff für die Düngemittelproduktion. Der russische Angriffskrieg hat daher starke Auswirkungen auf die internationalen Agrarmärkte.
Laut der UNO-Ernährungs- und -Landwirtschaftsorganisation (FAO) könnten Lebensmittelpreise weltweit um weitere 20 Prozent steigen. Darüber hinaus werde die Krise voraussichtlich zu einem erheblichen Rückgang der Weizenverfügbarkeit für zahlreiche afrikanische Länder führen, die einen Großteil ihres Weizens aus Russland oder der Ukraine importieren.
Lage bereits zuvor angespannt
Die Verschärfungen infolge des Ukraine-Krieges treffen dabei in vielen Regionen auf eine ohnehin schon angespannte Lage. In Westafrika etwa leiden laut Angaben internationaler Hilfsorganisationen bereits mehr als 27 Millionen Menschen an Hunger. Bis Juni könnten elf Millionen weitere Menschen dazukommen. Nach Schätzungen der UNO werden in der Region 6,3 Millionen Kinder im Alter von sechs Monaten bis fünf Jahren akut unterernährt sein.
AP/Ben Curtis
Millionen Menschen in Afrika sind derzeit auf Nahrungshilfe angewiesen
Auch am Horn von Afrika bedroht die schlimmste Dürre seit 40 Jahren derzeit die Existenz von Millionen Menschen. In Teilen Somalias, Äthiopiens und Kenias sind nach UNO-Angaben mehr als 13 Millionen Menschen von akutem Hunger bedroht.
UNICEF warnt vor Unterernährung bei Kindern
Am Donnerstag warnte das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) davor, dass die steigenden Lebensmittelpreise auch das Risiko der Unterernährung von Millionen von Kindern im Nahen Osten und Nordafrika erhöhten. Besonders betroffen wären Ägypten, der Libanon, Libyen, der Sudan, Syrien und der Jemen.
Das Bürgerkriegsland Jemen ist eines jener Länder, in denen das UNO-Welternährungsprogramm aktiv ist. Das WFP bezog in der Vergangenheit allerdings selbst rund 50 Prozent seines Getreides aus der Ukraine. Bereits vor dem Einmarsch Russlands hatten sich die Getreidepreise so verteuert, dass die Lebensmittelmittelrationen stark gekürzt werden mussten.
Zusätzliche Milliarden nötig
Laut dem deutschen WFP-Direktor Frick steht das UNO-Programm derzeit vor eine Milliardenlücke. Angesichts eines so noch nicht da gewesenen humanitären Bedarfs brauchte es WFP-Angaben zufolge 18,9 Milliarden US-Dollar (17,3 Mrd. Euro). Jüngsten Zahlen zufolge erhielt das WFP im Jahr 2020 jedoch nur knapp 8,5 Milliarden Dollar an Spenden. Die Organisation rechnet allein wegen gestiegener Lebensmittelpreise und des Ukraine-Konflikts mit Mehrkosten von rund 850 Millionen Dollar pro Jahr.
Auch andere Hilfsorganisation, darunter das Rote Kreuz, appellierten an die Geberländer, ihre Hilfen aufzustocken. Am Mittwoch sagte eine Reihe an westlichen Staaten, darunter die USA und Frankreich, Ländern in Westafrika eine Erhöhung der Hilfszahlungen zu.
Ruf nach Systemwandel
Laut dem deutschen WFP-Direktor ist mehr Geld für humanitäre Hilfe zwar eine akut notwendige Maßnahme. Aber „gleichzeitig müssen die weltweiten Ernährungssysteme umgebaut werden, damit sie weniger anfällig für solche Krisen sind“, sagte Frick. Es brauche kleinbäuerliche Landwirtschaft mit regionalen Strukturen. Hunger sei menschengemacht. Es gebe weltweit betrachtet keine Nahrungsmittelknappheit, aber Weltmarktpreise und ungerechte Verteilung führten regional dazu, so Frick auch in Richtung der EU-Agrarministerinnen und -minister, die sich am Donnerstag zur Ukraine-Krise berieten.
Bereits vergangene Woche machte die EU-Kommission erste Schritte als Antwort auf eine drohende Nahrungsmittelkrise: Die Behörde gab aus Naturschutzgründen brachliegende Agrarflächen vorübergehend zum Anbau von Nahrungs- und Futterpflanzen frei. Zugleich legte sie die Pestizidverordnung und das Renaturierungsgesetz vorerst auf Eis – und damit zwei größere EU-Vorhaben hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft.
Die Kommission erhofft sich davon eine steigende Landwirtschaftsproduktion in der EU, wodurch auch Druck vom Weltmarkt genommen werde. Kritikerinnen und Kritiker sehen darin allerdings eine ineffektive Symptombekämpfung. In einer Stellungnahme bezeichneten mehr als 600 internationale Forscherinnen und Forscher die Maßnahmen als „kurzsichtig“. Vielmehr sollte der Fleischkonsum eingeschränkt werden, durch den im Moment große Mengen an weltweiter Ackerfläche verbraucht würden.
08.04.2022, red, ORF.at/Agenturen
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Hinter den aktuellen Nahrungsmittelkrisen stehen Dürren, Überschwemmungen, Konflikte, aber auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der CoV-Pandemie in den vergangenen zwei Jahren. So stiegen die Lebensmittelpreise in Westafrika in den vergangenen fünf Jahren um bis zu 30 Prozent. Der russische Angriff auf die Ukraine beschleunigt den Preisanstieg zusätzlich.
Auswirkungen auf Agrarmärkte
Sowohl die Ukraine als auch Russland sind unter anderem wichtige Getreideexporteure. Russland produziert überdies große Mengen an synthetischem Dünger beziehungsweise liefert mit Erdgas bisher den Hauptrohstoff für die Düngemittelproduktion. Der russische Angriffskrieg hat daher starke Auswirkungen auf die internationalen Agrarmärkte.
Laut der UNO-Ernährungs- und -Landwirtschaftsorganisation (FAO) könnten Lebensmittelpreise weltweit um weitere 20 Prozent steigen. Darüber hinaus werde die Krise voraussichtlich zu einem erheblichen Rückgang der Weizenverfügbarkeit für zahlreiche afrikanische Länder führen, die einen Großteil ihres Weizens aus Russland oder der Ukraine importieren.
Lage bereits zuvor angespannt
Die Verschärfungen infolge des Ukraine-Krieges treffen dabei in vielen Regionen auf eine ohnehin schon angespannte Lage. In Westafrika etwa leiden laut Angaben internationaler Hilfsorganisationen bereits mehr als 27 Millionen Menschen an Hunger. Bis Juni könnten elf Millionen weitere Menschen dazukommen. Nach Schätzungen der UNO werden in der Region 6,3 Millionen Kinder im Alter von sechs Monaten bis fünf Jahren akut unterernährt sein.

Millionen Menschen in Afrika sind derzeit auf Nahrungshilfe angewiesen
Auch am Horn von Afrika bedroht die schlimmste Dürre seit 40 Jahren derzeit die Existenz von Millionen Menschen. In Teilen Somalias, Äthiopiens und Kenias sind nach UNO-Angaben mehr als 13 Millionen Menschen von akutem Hunger bedroht.
UNICEF warnt vor Unterernährung bei Kindern
Am Donnerstag warnte das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) davor, dass die steigenden Lebensmittelpreise auch das Risiko der Unterernährung von Millionen von Kindern im Nahen Osten und Nordafrika erhöhten. Besonders betroffen wären Ägypten, der Libanon, Libyen, der Sudan, Syrien und der Jemen.
Das Bürgerkriegsland Jemen ist eines jener Länder, in denen das UNO-Welternährungsprogramm aktiv ist. Das WFP bezog in der Vergangenheit allerdings selbst rund 50 Prozent seines Getreides aus der Ukraine. Bereits vor dem Einmarsch Russlands hatten sich die Getreidepreise so verteuert, dass die Lebensmittelmittelrationen stark gekürzt werden mussten.
Zusätzliche Milliarden nötig
Laut dem deutschen WFP-Direktor Frick steht das UNO-Programm derzeit vor eine Milliardenlücke. Angesichts eines so noch nicht da gewesenen humanitären Bedarfs brauchte es WFP-Angaben zufolge 18,9 Milliarden US-Dollar (17,3 Mrd. Euro). Jüngsten Zahlen zufolge erhielt das WFP im Jahr 2020 jedoch nur knapp 8,5 Milliarden Dollar an Spenden. Die Organisation rechnet allein wegen gestiegener Lebensmittelpreise und des Ukraine-Konflikts mit Mehrkosten von rund 850 Millionen Dollar pro Jahr.
Auch andere Hilfsorganisation, darunter das Rote Kreuz, appellierten an die Geberländer, ihre Hilfen aufzustocken. Am Mittwoch sagte eine Reihe an westlichen Staaten, darunter die USA und Frankreich, Ländern in Westafrika eine Erhöhung der Hilfszahlungen zu.
Ruf nach Systemwandel
Laut dem deutschen WFP-Direktor ist mehr Geld für humanitäre Hilfe zwar eine akut notwendige Maßnahme. Aber „gleichzeitig müssen die weltweiten Ernährungssysteme umgebaut werden, damit sie weniger anfällig für solche Krisen sind“, sagte Frick. Es brauche kleinbäuerliche Landwirtschaft mit regionalen Strukturen. Hunger sei menschengemacht. Es gebe weltweit betrachtet keine Nahrungsmittelknappheit, aber Weltmarktpreise und ungerechte Verteilung führten regional dazu, so Frick auch in Richtung der EU-Agrarministerinnen und -minister, die sich am Donnerstag zur Ukraine-Krise berieten.
Bereits vergangene Woche machte die EU-Kommission erste Schritte als Antwort auf eine drohende Nahrungsmittelkrise: Die Behörde gab aus Naturschutzgründen brachliegende Agrarflächen vorübergehend zum Anbau von Nahrungs- und Futterpflanzen frei. Zugleich legte sie die Pestizidverordnung und das Renaturierungsgesetz vorerst auf Eis – und damit zwei größere EU-Vorhaben hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft.
Die Kommission erhofft sich davon eine steigende Landwirtschaftsproduktion in der EU, wodurch auch Druck vom Weltmarkt genommen werde. Kritikerinnen und Kritiker sehen darin allerdings eine ineffektive Symptombekämpfung. In einer Stellungnahme bezeichneten mehr als 600 internationale Forscherinnen und Forscher die Maßnahmen als „kurzsichtig“. Vielmehr sollte der Fleischkonsum eingeschränkt werden, durch den im Moment große Mengen an weltweiter Ackerfläche verbraucht würden.
08.04.2022, red, ORF.at/Agenturen
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