Zeitliche Zuordnung der Entdeckung Amerikas durch die Wikinger gelungen

josef

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#1
ERSTMALS GENAUE DATIERUNG
Sonnensturm verriet, wann die Wikinger Amerika "entdeckt" haben
Dank eines astronomischen Ereignisses und hölzerner Überreste gelang es Forschern, die Präsenz der Skandinavier zeitlich einzuordnen

Mit Langschiffen wie diesem kamen die Wikinger mindestens bis nach Neufundland.
Foto: AP/Julien Behal

Dass nicht Christoph Kolumbus als erster Europäer nordamerikanischen Boden betreten hat, ist mittlerweile hinreichend bewiesen. Gut 500 Jahre zuvor, rund um das Jahr 1000, hatten bereits wikingerzeitliche Skandinavier aus Norwegen, Island und Grönland den Atlantik bezwungen. In ihren bekannten Langschiffen waren die Nordmänner (und vermutlich auch -frauen) bis zu einigen heute zu Kanada gehörenden Inseln gelangt, darunter etwa zur riesigen Baffininsel nordöstlich der Hudson Bay.


In dieser von den Seefahrern Helluland genannten Gegend fanden sich beispielsweise Belege dafür, dass die Skandinavier in der Neuen Welt auch Bronze herstellten, also dort durchaus eine gewisse Zeit verbracht haben dürften: Ein in den 1970er-Jahren entdeckter Steintiegel mit entsprechenden Metallrückständen gilt heute als ältestes Zeugnis für Metallverarbeitung in Nordamerika.


Modellrekonstruktion der Wikinger-Siedlung in L’Anse aux Meadows, Neufundland.
Foto: Torbenbrinker

Vor genau 1.000 Jahren
Einer der südlichsten bekannten Siedlungsorte lag nahe der Nordspitze von Neufundland, obwohl botanische Funde den Schluss zulassen, dass die Wikinger auch Landstriche weiter südlich erkundet haben dürften. Wann genau die Nordmänner hier ankamen und sich zumindest vorübergehend häuslich einrichteten, war allerdings lange Zeit unklar. Nun aber liefert die Analyse von hölzernen Überresten von der Ausgrabungsstätte L'Anse aux Meadows einen handfesten zeitlichen Anhaltspunkt: Ein internationales Wissenschafterteam kam zu dem Schluss, dass Menschen, vermutlich von Island und Grönland kommend, bereits 1021 – also vor genau 1.000 Jahren – eine Basis auf Neufundland betrieben haben. Dieses Datum markiert damit auch den frühesten sicher belegbaren Zeitpunkt, an dem der Atlantik von Menschen überquert wurde.

Die drei untersuchten Holzstücke von ebenso vielen unterschiedlichen Baumarten stammen aus archäologischen Kontexten, die den Wikingern zugeschrieben werden. Wie das Team um die Geochronologen Michael Dee und Margot Kuitems von der Universität Groningen im Fachjournal "Nature" berichten, zeigen die Fragmente Bearbeitungsspuren, die von Klingen aus Metall stammen müssen, einem Material, das von der damaligen einheimischen Bevölkerung noch nicht hergestellt wurde.


Eines der verräterischen Holzfragmente aus L’Anse aux Meadows unter dem Mikroskop.
Foto: Petra Doeve, University of Groningen

Astronomisches Ereignis als Datierungshilfe
Dass die Holzstücke so genau datieren werden konnten, verdanken die Forscher einem astronomischen Ereignis am Ende des zehnten Jahrhunderts: Im Jahr 992 kam es zu einem schweren Sonnensturm, vermutlich ausgelöst von einer Sonneneruptionen oder einem koronalen Massenauswurf. Das Phänomen schrieb sich in Form eines klaren Radiokohlenstoffsignals gleichsam in die Wachstumsringe der Bäume ein. "Der deutliche Anstieg der Radiokohlenstoffproduktion zwischen 992 und 993 wurde in Baumringarchiven auf der ganzen Welt nachgewiesen", sagt Dee. "Auch jedes der drei Holzobjekte zeigte dieses Signal, und zwar 29 Jahresringe vor der Rindenkante."

Das lässt nur den Schluss zu, dass die Bäume 29 Jahre nach dem Sonnensturm, also im Jahr 1021, gefällt und verarbeitet wurden. Damit ist dies auch das früheste Jahr, in dem die europäische Präsenz in Amerika wissenschaftlich nachgewiesen werden kann. Wie oft die Europäer in die Neue Welt gesegelt waren und wie lange sie sich jenseits des Atlantiks aufgehalten hatten, ist nach wie vor unklar – auch wenn die bisherigen Funde darauf hinweisen, dass die Amerika-Abenteuer jeweils nur von kurzer Dauer waren. Dementsprechend dürften auch Auswirkungen dieser ersten europäischen Aktivitäten in Amerika insbesondere auf die Ureinwohner eher gering gewesen sein.


Die ersten Europäer in Nordamerika.
Grafik: Mediatus (H.J.)

Isländische Sagen und europäische Könige
Ganz ohne Folgen blieb die "Entdeckung" Amerikas freilich nicht: Frühere Annahmen über die Wikingerpräsenz in Übersee ergaben sich aus den isländischen Sagen, konkret: den sogenannten Vinland-Sagas. Diese begannen als mündliche Überlieferungen und wurden erst Jahrhunderte nach den von ihnen beschriebenen Ereignissen niedergeschrieben. Obwohl widersprüchlich und bisweilen recht fantastisch, deuten die Sagas sowohl auf gewalttätige wie auch auf friedliche Begegnungen zwischen den Europäern, allen voran Erik "der Rote" Thorvaldsson, und den Ureinwohnern der Region hin. Archäologische Beweise für diese Zusammentreffen sind allerdings rar.

Auch am übrigen Europa dürften die Amerikafahrten der Wikinger nicht spurlos vorübergegangen sein: Einige mittelalterlichen Berichte deuten darauf hin, dass prominente Persönlichkeiten auf dem europäischen Festland, etwa der Dänenkönig Sven Estridsson oder der norwegische König Olav Haraldsson, von der Überquerung des Atlantiks durch die Skandinavier Kenntnis hatten.
(tberg, 21.10.2021)

Abstract
Nature: "Evidence for European presence in the Americas in ad 1021."

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NEUE ERKLÄRUNG
Warum die Wikinger Grönland im 15. Jahrhundert aufgaben
Die Kälte dürfte nicht daran schuld gewesen sein, dass die Zuwanderer nach fast fünf Jahrhunderten ihre nördliche Kolonie verließen

Die Kirche von Hvalsey war Teil der Wikingerkolonie im Süden Grönlands. Eine Hochzeit in dieser Kirche im Jahr 1408 gehört zu den letzten überlieferten Ereignissen vor dem Abzug der Kolonisatoren aus Island.
AP / Christian Koch Madsen

Es ist eines der großen Rätsel der Wikingergeschichte: Warum haben die sogenannten Grænlendingar, die im Jahr 985 erfolgreiche Siedlungen in Südgrönland gegründet hatten, diese im frühen 15. Jahrhundert wieder verlassen? Lange Zeit meinte man, dass niedrigere Temperaturen dazu beitrugen, dass die Kolonien nicht länger überlebensfähig waren. Neue Forschungsergebnisse stellen diese alte Theorie nun jedoch infrage. Es waren demnach nicht die sinkenden Temperaturen, sondern eine Dürre, die für den Abzug sorgte.

Als sich die aus Island kommenden Wikinger im Jahr 985 in Grönland in der sogenannten "Ostsiedlung" – die missverständlicherweise im Westen liegt – niederließen, rodeten sie das Land und pflanzten Gras als Weide für ihr Vieh. Die Insel hatte bis zu 2.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Etwas mehr als 400 Jahre nach der Gründung haben sie ihr Domizil allerdings wieder verlassen.

War es die Kleine Eiszeit?
Jahrzehntelang gingen Anthropologinnen und Historiker davon aus, dass der Untergang der Ostsiedlung mit dem Beginn der Kleinen Eiszeit zusammenhängen müsse, einer Periode außergewöhnlich kalten Wetters ab Beginn des 15. Jahrhunderts, die das landwirtschaftliche Leben in Grönland unmöglich gemacht habe.

Doch wie ein Forscherteam um Boyang Zhao (University of Massachusetts Amherst, kurz: UMass Amherst) nun herausfand, beruhte diese Annahme auf fragwürdigen Daten. Diese stammten nämlich von einem Ort, der über 1.000 Kilometer weiter nördlich und über 2.000 Meter höher gelegen ist als die Ostsiedlung.

Also analysierte das Team um den Geowissenschafter Raymond Bradley, wie sich das Klima in der Nähe der nordischen Bauernhöfe selbst verändert hat. Die Forschenden wählten dafür einen See (Lake 578), der unmittelbar an die ehemalige Ostsiedlung angrenzt. "Niemand hat diesen Ort bisher untersucht", sagt Boyang Zhao, dessen Dissertation die Grundlage für die neue Studie im Fachblatt "Science Advances" darstellt.


Der See mit der Nummer 578, wo die Forschungen stattfanden.
Foto: Raymond Bradley

Dort sammelten sie drei Jahre lang Sedimentproben, die eine kontinuierliche Aufzeichnung der Klimadaten aus den letzten 2.000 Jahre darstellen.
So wurden die Proben aus dem See entnommen.
UMass Amherst

Zwei verschiedene Marker
Konkret wertete das Forscherteam zwei Marker aus: Ein bestimmtes Lipid lässt Rückschlüsse auf die Temperaturen zu. Ein zweiter Marker, der aus der wachsartigen Beschichtung von Pflanzenblättern gewonnen wird, ist ein Indikator dafür, wie trocken die Bedingungen waren und wie sie sich über die Zeit entwickelten.


Das Forscherteam der UMass Amherst mit einer Sedimentprobe.
Foto: William Daniels

Die Analysen zeigten, "dass sich die Temperatur während der Besiedlung Südgrönlands kaum änderte", resümiert Zhao. "Aber es wurde im Laufe der Zeit immer trockener."

Die Grænlendingar mussten ihr Vieh mit eingelagertem Futter überwintern, und selbst in guten Jahren waren die Tiere oft so schwach, dass sie nach der Schneeschmelze im Frühjahr auf die Felder getragen werden mussten. Unter diesen Bedingungen waren die Folgen einer Dürre schwerwiegend.
Eine langanhaltende Dürre Anfang des 15. Jahrhunderts, die noch zu anderen wirtschaftlichen und sozialen Belastungen hinzukam, dürfte das Gleichgewicht dann so weit verändert haben, dass die Ostsiedlung aufgegeben werden musste.
(tasch, 24.3.2022)

Originalstudie
Science Advances: "Prolonged Drying Trend Coincident with the Demise of Norse Settlement in Southern Greenland"

Warum die Wikinger Grönland im 15. Jahrhundert aufgaben
 
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