Nach Monaten
Zehntausende kehren in Norden Gazas zurück
Erstmals seit Monaten können vor dem Krieg geflüchtete Bewohnerinnen und Bewohner in ihre Städte im Norden des Gazastreifens zurückkehren. Wie im Zug des Waffenruheabkommens vereinbart, öffnete die israelische Armee entlang des Mittelmeeres den „Nezarim-Korridor“, der den Norden vom Süden trennt.
Online seit heute, 12.05 Uhr
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Nach Monaten: Zehntausende kehren in Norden Gazas zurück
Zehntausende kehren in Norden Gazas zurück

Erstmals seit Monaten können vor dem Krieg geflüchtete Bewohnerinnen und Bewohner in ihre Städte im Norden des Gazastreifens zurückkehren. Wie im Zug des Waffenruheabkommens vereinbart, öffnete die israelische Armee entlang des Mittelmeeres den „Nezarim-Korridor“, der den Norden vom Süden trennt.
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Zehntausende Palästinenser kehrten am Montag in den am schwersten zerstörten Teil des Gazastreifens zurück. Der von der israelischen Armee – nach dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 – eingerichtete Sicherheitsstreifen war von Israel wenige Wochen nach Kriegsbeginn völlig abgeriegelt worden. Der „Korridor“ trennt das nördliche Drittel Gazas inklusive Gaza-Stadt, Dschabalija, Beit Hanun und Beit Lahija.
Eine riesige Menschenmenge bewegte sich seit den frühen Morgenstunden entlang des Strandes in Richtung Norden, die meisten zu Fuß und wenige Habseligkeiten mit sich tragend.
Fotostrecke
APA/AFP
In behelfsmäßigen Zeltstädten wie dieser bei Chan Junis leben seit mehr als einem Jahr Hunderttausende Palästinenser
Reuters/Ramadan Abed
Viele von ihnen machten sich am Montag auf, um in ihre Heimatstädte im Norden zurückzukehren, die kurz nach Beginn des Gaza-Krieges von Israel abgeriegelt wurden
Reuters/Mohammed Salem
Entlang des Mittelmeers wanderten die Menschen zurück in Richtung Norden
Reuters/Hatem Khaled
Jene, die mit Autos – und wenigen Habseligkeiten auf dem Dach – zurückkehrten, standen im Stau. Die Autos wurden von der israelischen Armee unter anderem auf Waffen durchsucht.
Reuters/Mahmoud Al-Basos
Aufnahme einer Drohne von den zurückkehrenden Menschen – und den Zerstörungen im Vorder- und Hintergrund
Reuters/Mahmoud Issa
Vielen ist an Habseligkeiten nur geblieben, was sie mit den eigenen Händen tragen können
Reuters/Ramadan Abed
Ein Bild, das das Ausmaß der Zerstörung insbesondere im Norden Gazas erahnen lässt. Die Binnenflüchtlinge kehren nahe Gaza-Stadt zwischen Ruinen in ihre Heimat zurück.
Die Bilder von den rückkehrenden Menschen ähneln jenen von der Flucht der Bewohnerinnen und Bewohner in den Süden zu Beginn des Krieges. Erst zwei Stunden nach Öffnung des „Korridors“ wurde die Passage auch für Fahrzeuge erlaubt. Viele Palästinenser hatten befürchtet, Israel würde sie nie mehr zurücklassen.
Rückkehr in Ruinen
Rund eine Million Menschen war nach Warnungen der israelischen Armee zu Kriegsbeginn aus dem Norden geflüchtet. Die Menschen mussten mehr als ein Jahr in Zelten und zu Notlagern umfunktionierten Schulen leben – mit teils katastrophalen sanitären Zuständen und einer mangelhaften Versorgung mit den wichtigsten Dingen des Alltags. Viele von ihnen wollten daher diese erste sich bietende Gelegenheit zur Rückkehr nützen – auch wenn die meisten von ihnen nur Ruinen ihrer einstigen Häuser und Wohnungen vorfinden werden.
Ein Vater von drei Kindern sprach gegenüber der Nachrichtenagentur AP trotz der schweren Zerstörungen von der „Freude der Rückkehr“. Er habe mit seiner Familie drei Tage am Übergang gewartet. Auf der Nordseite der Sperre brachen die Menschen teils in Jubel und Tränen aus – insbesondere jene, die erstmals seit langer Zeit wieder Verwandte, die im Norden ausgeharrt hatten, sahen.
Reuters/Mohammed Salem
Mehr als ein Jahr zuvor waren die Menschen auf der gleichen Route Richtung Süden geflüchtet – hier ein Bild vom 9. November 2023
Verzögerung nach Zwist über Geiselfreilassung
Die Öffnung des „Korridors“ hatte sich wegen eines Streits zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel um zwei Tage verzögert, da beim zweiten Austausch von Geiseln und Gefangenen eine der vereinbarten Geiseln von der Hamas nicht freigelassen wurde. Die Vermittlerstaaten konnten den Konflikt bereinigen. Die deutsch-israelische Geisel Arbel Yehud soll nun vor dem nächsten Austausch freikommen.
Die Hamas bezeichnete die Öffnung des „Korridors“ als „Sieg für unser Volk und einen Beweis für das Versagen und die Niederlage (israelischer, Anm.) Besatzung und Verteidigungspläne“. Israel erwartet nun die Freilassung von sechs weiteren Geiseln in dieser Woche. Am Donnerstag sollen drei Geiseln freikommen und am Samstag drei weitere, erklärte das Büro von Regierungschef Benjamin Netanjahu am Sonntagabend.
Scharfe Reaktion auf Trump-Aussagen
Ein Vorschlag von US-Präsident Donald Trump zur „Räumung“ des Gazastreifens sorgte indes weiter für Empörung und Kritik – und stärkte den Drang der Binnenflüchtlinge, in den Norden zurückzukehren. Trump hatte das kriegsverwüstete Palästinensergebiet am Samstag als „Abrissgebiet“ bezeichnet, das für einen Frieden im Nahen Osten „zu räumen“ sei.
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas brachte am Sonntag seine „starke Ablehnung und Verurteilung jeglicher Projekte zur Vertreibung unseres Volkes aus dem Gazastreifen zum Ausdruck“, erklärte sein Büro am Sonntag. Auch Jordanien wies entschieden jede Form der Vertreibung von Palästinensern zurück. Ägypten erklärte, es unterstütze das „unerschütterliche Bestehen des palästinensischen Volkes auf sein Land“.
Reuters/Mohammed Salem
Zehntausende kehren entlang einer zerstörten Küstenautobahn in den Norden zurück
Erinnerungen an Nakba
Auch die Arabische Liga warnte vor „Versuchen, das palästinensische Volk von seinem Land zu vertreiben“. Die Zwangsumsiedlung und Vertreibung von Menschen von ihrem Land könne nur als „ethnische Säuberung“ bezeichnet werden, hieß es in einer Erklärung des Generalsekretariats des Bündnisses, dem 22 Staaten aus Afrika und Asien angehören.
Trumps Vorschlag rührt tief am palästinensischen Trauma der Nakba („Katastrophe“) – der Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser im Zuge des von arabischen Staaten begonnenen Krieges von 1948/49 nach der Ausrufung des Staates Israel.
Zwei Drittel aller Gebäude zerstört oder beschädigt
Die Mehrheit der 2,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Gazastreifens ist seit dem Beginn des innerhalb des Gazastreifens vertrieben worden, viele von ihnen bereits mehrfach. Durch die Luftangriffe und Kämpfe im Gaza-Krieg wurden große Teile der Infrastruktur des Küstenstreifens dem Erdboden gleichgemacht. Laut einer UNO-Analyse waren am 1. Dezember etwa 69 Prozent der Gebäude im Gazastreifen zerstört oder beschädigt. Die Hälfte der Krankenhäuser und ein Großteil der Schulen sind nicht mehr in Betrieb.
27.01.2025, red, ORF.at/Agenturen
Eine riesige Menschenmenge bewegte sich seit den frühen Morgenstunden entlang des Strandes in Richtung Norden, die meisten zu Fuß und wenige Habseligkeiten mit sich tragend.
Fotostrecke

In behelfsmäßigen Zeltstädten wie dieser bei Chan Junis leben seit mehr als einem Jahr Hunderttausende Palästinenser

Viele von ihnen machten sich am Montag auf, um in ihre Heimatstädte im Norden zurückzukehren, die kurz nach Beginn des Gaza-Krieges von Israel abgeriegelt wurden

Reuters/Mohammed Salem
Entlang des Mittelmeers wanderten die Menschen zurück in Richtung Norden

Reuters/Hatem Khaled
Jene, die mit Autos – und wenigen Habseligkeiten auf dem Dach – zurückkehrten, standen im Stau. Die Autos wurden von der israelischen Armee unter anderem auf Waffen durchsucht.

Reuters/Mahmoud Al-Basos
Aufnahme einer Drohne von den zurückkehrenden Menschen – und den Zerstörungen im Vorder- und Hintergrund

Reuters/Mahmoud Issa
Vielen ist an Habseligkeiten nur geblieben, was sie mit den eigenen Händen tragen können

Reuters/Ramadan Abed
Ein Bild, das das Ausmaß der Zerstörung insbesondere im Norden Gazas erahnen lässt. Die Binnenflüchtlinge kehren nahe Gaza-Stadt zwischen Ruinen in ihre Heimat zurück.
Die Bilder von den rückkehrenden Menschen ähneln jenen von der Flucht der Bewohnerinnen und Bewohner in den Süden zu Beginn des Krieges. Erst zwei Stunden nach Öffnung des „Korridors“ wurde die Passage auch für Fahrzeuge erlaubt. Viele Palästinenser hatten befürchtet, Israel würde sie nie mehr zurücklassen.
Rückkehr in Ruinen
Rund eine Million Menschen war nach Warnungen der israelischen Armee zu Kriegsbeginn aus dem Norden geflüchtet. Die Menschen mussten mehr als ein Jahr in Zelten und zu Notlagern umfunktionierten Schulen leben – mit teils katastrophalen sanitären Zuständen und einer mangelhaften Versorgung mit den wichtigsten Dingen des Alltags. Viele von ihnen wollten daher diese erste sich bietende Gelegenheit zur Rückkehr nützen – auch wenn die meisten von ihnen nur Ruinen ihrer einstigen Häuser und Wohnungen vorfinden werden.
Ein Vater von drei Kindern sprach gegenüber der Nachrichtenagentur AP trotz der schweren Zerstörungen von der „Freude der Rückkehr“. Er habe mit seiner Familie drei Tage am Übergang gewartet. Auf der Nordseite der Sperre brachen die Menschen teils in Jubel und Tränen aus – insbesondere jene, die erstmals seit langer Zeit wieder Verwandte, die im Norden ausgeharrt hatten, sahen.

Mehr als ein Jahr zuvor waren die Menschen auf der gleichen Route Richtung Süden geflüchtet – hier ein Bild vom 9. November 2023
Verzögerung nach Zwist über Geiselfreilassung
Die Öffnung des „Korridors“ hatte sich wegen eines Streits zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel um zwei Tage verzögert, da beim zweiten Austausch von Geiseln und Gefangenen eine der vereinbarten Geiseln von der Hamas nicht freigelassen wurde. Die Vermittlerstaaten konnten den Konflikt bereinigen. Die deutsch-israelische Geisel Arbel Yehud soll nun vor dem nächsten Austausch freikommen.
Die Hamas bezeichnete die Öffnung des „Korridors“ als „Sieg für unser Volk und einen Beweis für das Versagen und die Niederlage (israelischer, Anm.) Besatzung und Verteidigungspläne“. Israel erwartet nun die Freilassung von sechs weiteren Geiseln in dieser Woche. Am Donnerstag sollen drei Geiseln freikommen und am Samstag drei weitere, erklärte das Büro von Regierungschef Benjamin Netanjahu am Sonntagabend.
Scharfe Reaktion auf Trump-Aussagen
Ein Vorschlag von US-Präsident Donald Trump zur „Räumung“ des Gazastreifens sorgte indes weiter für Empörung und Kritik – und stärkte den Drang der Binnenflüchtlinge, in den Norden zurückzukehren. Trump hatte das kriegsverwüstete Palästinensergebiet am Samstag als „Abrissgebiet“ bezeichnet, das für einen Frieden im Nahen Osten „zu räumen“ sei.
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas brachte am Sonntag seine „starke Ablehnung und Verurteilung jeglicher Projekte zur Vertreibung unseres Volkes aus dem Gazastreifen zum Ausdruck“, erklärte sein Büro am Sonntag. Auch Jordanien wies entschieden jede Form der Vertreibung von Palästinensern zurück. Ägypten erklärte, es unterstütze das „unerschütterliche Bestehen des palästinensischen Volkes auf sein Land“.

Zehntausende kehren entlang einer zerstörten Küstenautobahn in den Norden zurück
Erinnerungen an Nakba
Auch die Arabische Liga warnte vor „Versuchen, das palästinensische Volk von seinem Land zu vertreiben“. Die Zwangsumsiedlung und Vertreibung von Menschen von ihrem Land könne nur als „ethnische Säuberung“ bezeichnet werden, hieß es in einer Erklärung des Generalsekretariats des Bündnisses, dem 22 Staaten aus Afrika und Asien angehören.
Trumps Vorschlag rührt tief am palästinensischen Trauma der Nakba („Katastrophe“) – der Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser im Zuge des von arabischen Staaten begonnenen Krieges von 1948/49 nach der Ausrufung des Staates Israel.
Zwei Drittel aller Gebäude zerstört oder beschädigt
Die Mehrheit der 2,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Gazastreifens ist seit dem Beginn des innerhalb des Gazastreifens vertrieben worden, viele von ihnen bereits mehrfach. Durch die Luftangriffe und Kämpfe im Gaza-Krieg wurden große Teile der Infrastruktur des Küstenstreifens dem Erdboden gleichgemacht. Laut einer UNO-Analyse waren am 1. Dezember etwa 69 Prozent der Gebäude im Gazastreifen zerstört oder beschädigt. Die Hälfte der Krankenhäuser und ein Großteil der Schulen sind nicht mehr in Betrieb.
27.01.2025, red, ORF.at/Agenturen
Nach Monaten: Zehntausende kehren in Norden Gazas zurück