Geist

Worte im Dunkel
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#21
In der KZ Gedenkstätte Mauthausen wurde im Zuge von haustechnischen Sondierungen und der Aufarbeitung historischer Pläne ein bislang unbekannter Luftschutzbunker entdeckt.

Bei der durch unseren Kollegen, Herrn Ing. Lorenz Tributsch, kürzlich gemachten Entdeckung dürfte es sich um den sog. „Ziereisbunker“ handeln, der zum ehemaligen Stabsgebäude der KZ-Gedenkstätte gehörte. Die bislang für den betroffenen Bunker gehaltenen unterirdischen Räumlichkeiten sind mit hoher Wahrscheinlichkeit dem ehemaligen Offizierskasino zuzuordnen.

Ausschlaggebendes Indiz für die Entdeckung war ein Stiegenabgang im Bereich der Terrasse vor dem Stabsgebäude, der in den historischen Planunterlagen erst ab 1944 auftaucht und damit mit dem Baubeginn des Luftschutzbunkers am 23.03.1944 und dessen Fertigstellung noch im selben Jahr zusammenfällt.

Namensgebend für den “Ziereisbunker” ist der von 1939 bis zur Befreiung des Lagers 1945 eingesetzte Lagerkommandant, Franz Ziereis, der kurz vor seinem Tod die unmenschlichen Gräultaten und die Ermordung tausender Häftlinge gestand.

Gemeinsam mit der Mauthausen Memorial / KZ-Gedenkstätte und dem Bundesdenkmalamt Österreich wird durch weitere Studien und Bodenradaruntersuchungen zur Erforschung des historischen Gebäudekomplexes beigetragen.

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Fotos © BHÖ
Quelle: Burghauptmannschaft Österreich
 

josef

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#22
Salzburgs NS-Mörder: Erstmals Liste publiziert
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Nun widmet sich das Salzburger Personenkomitee für Stolpersteine erstmals umfassend den Tätern des Nationalsozialismus. Freitag wurden dazu erstmals 60 Namen veröffentlicht – 59 Männer und eine Frau, die bei Polizei, Justiz, Sonder- und Kriegsgerichten, „Volksgerichtshof“ und Konzentrationslagern mörderische Arbeit leisteten.
Online seit heute, 18.23 Uhr
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Seit 2007 hat das Personenkomitee allein in der Stadt Salzburg 509 Erinnerungssteine zum Gedenken an von den Nationalsozialisten ermordete Menschen verlegen lassen. Nun liegt ein weiterer Fokus auf den Tätern von damals.

Verantwortliche für 1.500 Tote
„Wir wollten wissen, wer während der NS-Zeit für den Tod von mindestens 1.500 in Stadt und Land Salzburg lebenden Personen verantwortlich war“, sagt der Historiker Gert Kerschbaumer, der die Liste „Täterspuren“ recherchiert hat. Dabei habe man sich zunächst auf Vertreter von Polizei und Justiz beschränkt: „Das sind Männer und Frauen, ohne die der Terror nicht hätte ausgeführt werden können, auch wenn er von anderen angeordnet worden ist.“

Die Liste enthält Namen von Salzburger NS-Tätern, ihre Lebensdaten sowie kurze biografische Eckdaten samt den wichtigsten Karrierestationen in Hitlers Justiz und im damit verbundenen Unterdrückungsapparat. Ihre Opfer kamen in Folterzentren der Gestapo, Gefängnissen, Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis in vielen Teilen Europas ums Leben – manche auch im KZ Mauthausen im unteren Mühlviertel nordöstlich von Linz, der Lieblingsstadt des so genannten „Führers“ und gebürtigen Oberösterreichers Adolf Hitler:

Fotostrecke
Flugbild: Gerald Lehner
KZ-Gedenkstätte in Mauthausen, wo bis 1945 auch viele Salzburger litten und starben. Dieses Konzentrationslager war das einzige der Stufe 3 auf dem Gebiet von Österreich und Deutschland. Sonst fielen nur industriell organisierte Lager wie Auschwitz 1, Auschwitz-Birkenau und ähnliche Orte in diesen besonders grausamen Teil von Hitlers Maschinerie
Flugbild: Gerald Lehner
Für Wind- und Wetter sehr exponierte Lage über dem Donautal deutlich außerhalb der Gemeinde Mauthausen: KZ-Gedenkstätte und Steinbruch „Wiener Graben“ im Vordergrund. Der ganze Bereich war von den Ortschaften der Nachbarschaft kaum oder nur schwer einzusehen. Dennoch wusste die Bevölkerung genau, was hier vor sich ging
Flugbild: Gerald Lehner
Steinbruch „Wiener Graben“ bei der heutigen KZ-Gedenkstätte Mauthausen
Flugbild: Gerald Lehner
Sehr steile „Todesstiege“ beim Steinbruch „Wiener Graben“, wo die SS in direkter Nähe zum KZ Mauthausen besonders viele Häftlinge zu Tode schinden oder ermorden ließ
Flugbild: Gerald Lehner
Oben die sehr steile „Todesstiege“ beim Steinbruch „Wiener Graben“, rechts der Fußweg zum KZ Mauthausen
Flugbild: Gerald Lehner
Ehemaliger Steinbruch und Areal mit Denkmälern vieler Staaten für ihre im KZ Mauthausen ermordeten Bürger
Flugbild: Gerald Lehner
Rechts im Vordergrund das Schwimmbad für die SS-Wachmannschaften, wo sich in der Freizeit vergnügen konnten – in Sichtweite von Gaskammer, Krematorium, Foltervorrichtungen, Häftlingsbaracken und Massengräbern. Oben ganz rechts gab es ein Sonderlager, in dem sowjetische Kriegsgefangene systematisch ermordet wurden

Mörderische Juristen wollten nicht genannt werden
„Täter hinterlassen spärliche oder gar verborgene Spuren“, betont Kerschbaumer. Auf den Meldungen der Kriegsgerichte in Salzburg über vollstreckte Todesurteile nach Berlin fehlen etwa die Namen der Täter. Zugleich hätten viele Juristen gegen Kriegsende ihre Akten vernichtet, um sich ihrer Verantwortung zu entledigen.
„Von den 24 Juristen, die in den Kriegsjahren im Justizgebäude Salzburg als Kriegsrichter fungierten, lassen sich bis jetzt bloß vier Österreicher namhaft machen, die Todesurteile gefällt haben“, sagt der Historiker Kerschbaumer.

Nach dem Krieg machten viele weiter Karriere
Auf der Liste fänden sich auch Täter, die in der Zweiten Republik unabhängig von ihrer Verstrickung in dokumentierte Verbrechen wieder Karriere machen konnten – ein Salzburger Magistratsdirektor, ein Präsident der Freunde der Salzburger Festspiele, Richter, Anwälte und Polizeibeamte, die nach 1945 ihr Leben und den Lebensabend unbehelligt in Salzburg verbrachten, betont Historiker Kerschbaumer.
Die nun erstmals publizierte Namensliste finden Sie hier:
NS-Täter und ihre Kurz-Biografien (PDF)


24.11.2023, APA, Gerald Lehner - salzburg.ORF.at/Agenturen

Weiterer Link:
Salzburgs NS-Mörder: Erstmals Liste publiziert
 

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#23
Gedenkfeiern 2024 in Mauthausen
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Mehrere große Gedenkveranstaltungen widmen sich in den kommenden Tagen der Befreiung des KZ Mauthausen und seiner Nebenlager vor 79 Jahren: Am Donnerstag, 2. Mai, gedenken unter anderem Mitglieder der Bundesregierung im Rahmen eines Festakts in Mauthausen.
Online seit heute, 10.20 Uhr
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Am 4. Mai folgt eine gemeinsame Feier der Gedenkstätte Mauthausen und des Gusen Gedenkdienstkomitees in Langenstein und tags darauf die traditionelle Befreiungsfeier unter der Federführung des Mauthausen Komitee.

Diese weltweit größte KZ-Befreiungsfeier findet am 5. Mai auf dem Appellplatz des ehemaligen Lagers, der heutigen Gedenkstätte, statt. Sie widmet sich heuer – ebenso wie zahlreiche Feierlichkeiten in den Außenlagern – dem Thema „Recht und Gerechtigkeit im Nationalsozialismus“.

Auch virtuelles Gedenken möglich
Zusätzlich gibt es auch wieder ein virtuelles Gedenken auf den Online-Plattformen des Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ). Jede und jeder sei eingeladen einen Beitrag einzureichen, warum eine „Ethnisierung des Rechts unbedingt zu verhindern und gegen alle derartigen Tendenzen vorzugehen“ sei, so der Aufruf.

Festakt mit Regierungsmitgliedern
Bereits am 2. Mai findet in der Gedenkstätte Mauthausen ein Festakt statt, zu dem neben Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und mehreren Ministern auch Mitglieder von Opferorganisationen und des internationalen Beirats Mauthausen, in dem 20 Holocaust-Opfernationen vertreten sind, sowie eine Jugendgruppe aus Luxemburg erwartet werden.

Die Feier steht unter der Überschrift „Die Vielfalt des Gedenkens“. Es wird ein Statement zum Thema „Was bedeutet Mauthausen für uns heute?“ verlesen, dann werden Blumen am Kenotaph, dem Denkmal zu Ehren der Opfer, niedergelegt. Im KZ Mauthausen und seinen über 40 Nebenlagern wurden zwischen 1938 und 1945 knapp 200.000 Menschen aus mehr als 40 Nationen gefangengehalten, rund 90.000 überlebten nicht.

Gedenken auch im Nebenlager Gusen
Im Nebenlager Gusen, wo 71.000 Gefangene aus fast 30 Nationen interniert waren, von denen etwa 36.000 zu Tode kamen, waren die Bedingungen besonders hart. Die Gefangenen mussten unter dem Tarnnamen „Bergkristall“ eine Stollenanlage für die Rüstungsindustrie errichten. Nach der Befreiung wurde das Lager abgetragen, Wohnhäuser wurden gebaut. Lange Zeit gab es immer wieder Kritik aus dem In- und Ausland, dass das Gedenken an diesem Schreckensort vernachlässigt werde.

Nachdem die Republik in den vergangenen Jahren schließlich Grundstücke am Areal des ehemaligen KZ Gusen in Langenstein angekauft hat und dort nun ein Prozess zur Neugestaltung der Gedenkstätte angestoßen wurde, wird – wie bereits in den zwei vorangegangenen Jahren – auch am ehemaligen Appellplatz von Gusen gedacht. Hier sind regionale Gedenkorganisationen eingebunden, aller Voraussicht nach wird Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) dabei das offizielle Österreich vertreten.

Fest der Freude am 8. Mai
Beim schon traditionellen „Fest der Freude“ am Jahrestag der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8. Mai geht es heuer ebenfalls schwerpunktmäßig um „Recht und Gerechtigkeit im Nationalsozialismus“. Als Höhepunkt ist die Rede der Zeitzeugin Rosa Schneeberger angekündigt, die Eröffnungsworte am Wiener Heldenplatz werden Bundespräsident Alexander Van der Bellen und MKÖ-Vorsitzender Willi Mernyi sprechen. Bereits am 3. Mai gibt es wieder ein Gedenken im Parlament.
27.04.2024, red, ooe.ORF.at/Agenturen

Link:
KZ-Gedenkstätte Mauthausen

Gedenkfeiern in Mauthausen
 

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#24
05.05.2024 - Gedenken an Befreiung in Mauthausen
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Der 5. Mai gilt als Jahrestag für die Befreiung der Insassen des Konzentrationslagers in Mauthausen. Im früheren KZ, der heutigen Gedenkstätte in Oberösterreich, findet daher am Sonntag die jährliche Feier statt. Tausende Menschen aus alle Welt nehmen an der Feier teil, die sich heuer unter anderem dem Thema „Recht und Gerechtigkeit im Nationalsozialismus“ widmet.
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Seit 1946 wird Anfang Mai der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen durch US-Truppen gedacht. Im KZ Mauthausen und seinen 49 Nebenlagern waren rund 200.000 Personen aus aller Welt interniert, mindestens 90.000 davon starben. Die Befreiungsfeier war in den vergangenen Jahrzehnten auch ein Tag in dem Überlebende und Zeitzeugen über ihr Leben berichteten. Mittlerweile ist dieses Treffen aber auch ein wichtiger Teil um mit der Jugend in den Dialog zu treten, so Willi Mernyi vom Mauthausen Komitee.

Diktaturen missbrauchen Rechtssystem
Laut Mernyi gehe es nicht nur um das: niemals vergessen – sondern es gehe auch immer stärker um das: niemals wieder. „Also was können wir tun, dass so etwas ähnliches nie wieder passiert?“, sagt Mernyi im Gespräch mit dem ORF OÖ.

Mit dem Thema Recht und Gerechtigkeit will das Mauthausen Komitee auch daran erinnern, dass auch heute Diktaturen das Rechtssystem missbrauchen. „Im Nationalsozialismus wurde ja auch Recht gesprochen, die Ermordung von Millionen von Menschen war ja durch ein Gesetz, die Nürnberger Rassengesetze, rechtlich abgesichert. Aber mit Gerechtigkeit hat das nichts zu tun gehabt!“, so Mernyi. Deswegen sei es wichtig so appellieren, dass überall auf der Welt unter dem Deckmantel des Rechts, Ungerechtigkeit passiert, führt Mernyi weiter aus.

Van der Bellen nimmt an Befreiungsfeier teil
Die Befreiungsfeier beginnt am Sonntag um 11 Uhr. Auch Bundespräsident Alexander van der Bellen wird in Begleitung des „offiziellen Österreich“ und gemeinsam mit internationalen Delegationen an der Befreiungsfeier teilnehmen.
05.05.2024, red, ooe.ORF.at

Link:
Mauthausen Komitee
Gedenken an Befreiung in Mauthausen
 

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#25
NS-AUFARBEITUNG
Der „grüne Winkel“ als Tabu
Als letzte Gruppe der KZ-Häftlinge sind kürzlich die „Berufsverbrecher“ als NS-Opfer anerkannt worden.
Ein neues Buch arbeitet ihre Geschichte im Konzentrationslager Mauthausen auf und liefert dabei auch Antworten auf die Frage, warum die Anerkennung erst jetzt kommt. Für die Opfer kommt sie zu spät, von entscheidender Bedeutung ist sie heute aber trotzdem.

Als die Nazis im August 1938 begannen, in Mauthausen ein Konzentrationslager zu errichten, brachten sie 300 Häftlinge aus dem KZ Dachau nach Mauthausen. Diese Männer mussten das Lager erst aufbauen. Sie hatten eines gemeinsam: Sie trugen alle den „grünen Winkel“ – ein Dreieck auf der Kleidung, das ihre Häftlingskategorie zu erkennen gab. Für die Nazis waren sie „Berufsverbrecher“. Sie waren die ersten und bis März 1939 die einzigen Häftlinge in Mauthausen. Einer von ihnen war der 25-jährige Johann Kopinitz aus Wien, der wenige Wochen zuvor nach Dachau deportiert worden war und bis 1945 in Mauthausen inhaftiert war.

Die Geschichte der „Berufsverbrecher“ im KZ Mauthausen hat nun der Soziologe und Politikwissenschaftler Andreas Kranebitter, Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW), aufgearbeitet. Die späte Anerkennung als NS-Opfer – sie erfolgte durch eine Novellierung des Opferfürsorgegesetzes am 12. Juni – und die lang bestehende Forschungslücke, die Kranebitter mit seinem Buch schließt, erklärt er im Gespräch mit ORF Topos unter anderem damit, dass den sogenannten Berufsverbrechern lange das Stigma anhaftete, „zu Recht im KZ“ gewesen zu sein.

„Auch der Irrglaube, dass diese Menschen zu KZ-Haft verurteilt wurden, hält sich sehr hartnäckig“, so Kranebitter: „Tatsächlich waren die sogenannten Berufsverbrecher vorbestrafte Personen, die ihre Haftstrafen schon längst abgesessen hatten.“ Verstärkt ab 1937 verhängten die Nazis zur „Vorbeugung“ KZ-Haft über Tausende Menschen, die davor mehr als dreimal zu mindestens sechs Monaten Haft verurteilt worden waren.
In der NS-Ideologie ging man davon aus, dass kriminelles Verhalten auf vererbbaren und unveränderlichen Wesenszügen basiere – eine Vorstellung, die nicht von den Nazis erfunden wurde, sondern bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Drei Viertel der Verurteilungen betrafen Eigentumsdelikte, erklärt Kranebitter: „In der Propaganda wurden die Menschen jedoch oft als Mörder und Gewalttäter dargestellt. Für die Nazis hatten sie ihr Recht, Teil der sogenannten Volksgemeinschaft zu sein, verwirkt und sollten weggesperrt oder sogar vernichtet werden.“

Das Bild vom „kriminellen KZler“
4.234 namentlich bekannte „Berufsverbrecher“, die in Mauthausen inhaftiert waren, konnte Kranebitter ausmachen, das sind 2,5 Prozent der Häftlinge. Zählt man die 11.098 Häftlinge dazu, die in Mauthausen in „Sicherungsverwahrung“ waren und einen „grünen Winkel“ mit der Spitze nach oben tragen mussten, kommt man auf gut neun Prozent „krimineller“ Häftlinge.

„Sicherheitsverwahrte“ waren Justizhäftlinge, denen die Nazis eine „kriminelle Laufbahn“ vorhersagten und die ab 1942 der Polizei übergeben und zur „Vernichtung durch Arbeit“ in Konzentrationslager deportiert wurden. In Mauthausen wurden sie meist innerhalb kürzester Zeit ermordet. Auch Frauen wurden als „Berufsverbrecherinnen“ und „Sicherheitsverwahrte“ inhaftiert, kamen aber nicht nach Mauthausen, sondern ins KZ Ravensbrück.

Die SS kategorisierte KZ-Häftlinge meist unmittelbar nach der Ankunft mit farblichen Dreiecken („Winkeln“). „Berufsverbrecher“ mussten einen grünen Winkel auf der Häftlingskleidung tragen.
Public Domain

Nach der Befreiung sah sich Österreich als erstes Opfer des Nationalsozialismus, und die tatsächlichen Opfer wurden als „Täter“ ausgemacht. Das Bild von KZ-Häftlingen als kriminelle Häftlinge, das man heute noch in rechten bis rechtsextremen Kreisen beobachten könne, so Kranebitter, sei in der Bevölkerung weit verbreitet gewesen: „In diesem Klima waren die Opferverbände enorm in der Defensive. Das führte dazu, dass sich auch politische Häftlinge von den kriminellen Häftlingen distanzierten, um nicht selbst diskreditiert zu werden.“
Der „grüne Winkel“ wurde auch innerhalb der Überlebenden zum Stigma und Tabu. „Das war schon in den Lagern so“, sagt der Soziologe, „doch wurden dort noch individuelle Unterschiede gemacht.“

Enger Opferbegriff: Heldin oder Unschuldiger
Im Opferfürsorgegesetz waren in der ersten Fassung von 1947 nur jene Menschen als Opfer anerkannt, die „mit der Waffe in der Hand“ für ein freies Österreich gekämpft haben, sowie Menschen, die „aus politischen Gründen oder aus Gründen der Abstammung, Religion oder Nationalität“ verfolgt wurden.

Dass letztere auch als Opfer galten, war die Folge langer Diskussionen, erklärt Kranebitter: „Sogar Jüdinnen und Juden mussten darum kämpfen, als Opfer anerkannt zu werden, weil der Opferbegriff zunächst so eng verstanden wurde, dass er nur aktive Widerstandskämpfer fasste. Außerdem mussten Opfer eine weiße Weste haben, also keine Vorstrafen.“
Erst Jahrzehnte später wurden weitere Opfergruppen anerkannt: 1995 Menschen mit Behinderungen und 2005 Homosexuelle, als "asozial" Verfolgte, Opfer der NS-Militärjustiz – hauptsächlich Deserteure – und Opfer der NS-Gesundheitspolitik, die etwa zwangssterilisiert wurden.

Im Konzentrationslager Mauthausen und seinen Außenlagern waren zwischen 1938 und 1945 circa 190.000 Menschen inhaftiert, mindestens 90.000 kamen zu Tode.
picturedesk.com/Daniel Scharinger

Doch bis vor gut drei Wochen sah das Opferfürsorgegesetz vor, dass ein NS-Opfer nicht vorbestraft sein durfte. Auf die Frage, warum die Anerkennung der „Berufsverbrecherinnen“ und „Berufsverbrecher“ noch einmal fast zwei Jahrzehnte länger gedauert hat als die anderer ebenfalls stark stigmatisierter Gruppen, antwortet Kranebitter mit einer Gegenfrage: „Wer identifiziert sich schon gerne mit einem mehrfach verurteilten Einbrecher?“

Kaum jemand setzte sich für die Anerkennung dieser Opfergruppe ein. Teilweise gab es auch Widerstände von Überlebendenverbänden, sagt Kranebitter, weil auch dort „Berufsverbrecher“ von manchen nicht als echte Opfer oder pauschal als „Helfershelfer der SS“ gesehen wurden.

Das Narrativ vom „gewaltaffinen Berufsverbrecher“
Im KZ Mauthausen waren überdurchschnittlich viele „Berufsverbrecher“ Funktionshäftlinge, darunter auch gefürchtete Kapos, also Vorarbeiter in einem Arbeitskommando, etwa im Steinbruch von Mauthausen. „Die SS machte sich selbst nicht die Hände schmutzig und zwang die Kapos, ihren Terror auszuführen“, sagt Soziologe Kranebitter.

„Die anderen Häftlinge sahen oft nur den Kapo, der sie terrorisierte und mehr zu essen bekam als sie. Dabei muss man aber bedenken, dass er mit dem Leben bezahlte, wenn sein Kommando nicht die geforderte Arbeit erbrachte, und dass er ebenfalls zu wenig zu essen hatte, wenn auch mehr als die anderen. Den Verwaltungsführer der SS, der im Sinn des Mordprogrammes die Rationen kürzte, um die Häftlinge verhungern zu lassen, hat man nicht gesehen“, so Kranebitter.

Lange Zeit wurde auch in der historischen Aufarbeitung unhinterfragt die Erzählung tradiert, die „Berufsverbrecher“ seien aufgrund der Vorstrafen gewaltaffin und prädestiniert dafür gewesen, den Job der Kapos auszuüben. Kranebitter stellt das infrage und verweist nochmals auf die 75 Prozent an Eigentumsdelikten bei den Vorstrafen. Der DÖW-Leiter hält eine andere Erklärung für plausibler: „Sie waren die ersten, die da waren. Die Funktionen wurden oft nach dem Senioritätsprinzip vergeben.“ Von August 1938 bis März 1939 waren ausschließlich „Berufsverbrecher“ in Mauthausen inhaftiert.

Anerkennung bringt Klarheit für Angehörige
Das Thema der Verantwortung der Funktionshäftlinge sei ein extrem schwieriges und werde oft auf die „Berufsverbrecher“ reduziert und abgeschoben, sagt Kranebitter: „Viele Kapos – egal ob kriminelle, politische oder jüdische – waren unter den anderen Häftlingen gefürchtet, weil sie aus eigenem Antrieb noch brutaler handelten als von der SS angeordnet. Andere führten exakt die Befehle der SS aus und wieder andere nutzten ihre Machtpositionen, um anderen zu helfen und dem Widerstand zuzuarbeiten.“

Mit zahlreichen Fallbeispielen aus der Gruppe der „Berufsverbrecher“ stellt der Soziologe in seinem Buch die Komplexität des Themas dar. Auch Kopinitz, der mit dem Widerstand in Verbindung stand, wird in dem Band porträtiert.

Für die Opfer kommt die Anerkennung zu spät. „Die Änderung des Opferfürsorgegesetzes ist für die Familien und die Angehörigen gemacht. Für sie ist es wichtig zu wissen, dass der Onkel oder Opa ein Opfer war“, sagt der Soziologe. In seiner jahrelangen Forschungstätigkeit interviewte er viele Angehörige von „Berufsverbrechern“, die sich unsicher waren, ob ihr Verwandter überhaupt ein Opfer war, da er ja vorbestraft war.
Kranebitter sagt dazu: „Niemand war zu Recht im KZ. Es hat fast 80 Jahre gedauert, bis das gesellschaftlich anerkannt wurde. Und erst jetzt ist es auch juristische Realität.“
05.07.2024, Katharina Gruber, ORF Wissen

Links:
Andreas Kranebitter (DÖW)
Die Konstruktion von Kriminellen. Die Inhaftierung von „Berufsverbrechern“ im KZ Mauthausen (new academic press)

Literaturhinweis:
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ORF Topos
 

josef

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#26
80 Jahre
Gedenken an „Mühlviertler Hasenjagd“
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Eines der dunkelsten Kapitel der oberösterreichischen Geschichte jährt sich Anfang Februar zum 80. Mal: Rund 500 Gefangene brachen in der Nacht auf den 2. Februar 1945 aus dem KZ Mauthausen aus. Der Großteil wurde im Rahmen einer brutalen Menschenhatz, bekannt unter der zynischen Bezeichnung „Mühlviertler Hasenjagd“, ermordet.
Online seit gestern 08.01.2025, , 12.06 Uhr
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Bei den Ausbrechern handelte es sich um sogenannte „K“-Häftlinge. Als solche wurden vor allem sowjetische Kriegsgefangene, die Fluchtversuche unternommen hatten, sowie der Sabotage oder politischen Betätigung bezichtigte Zwangsarbeiter bezeichnet, die im letzten Kriegsjahr aufgrund des „Kugel-Erlasses“ nach Mauthausen deportiert worden waren und dort ermordet werden sollten. Ihre Haftbedingungen waren derartig schlecht, dass sie kaum eine Überlebenschance hatten.

Bevölkerung an Hetzjagd beteiligt
Wenige Monate vor Kriegsende wagten mehr als 500 von ihnen einen Massenausbruch aus dem Block 20. Mit Pflastersteinen und anderen verfügbaren Gegenständen attackierten sie die Wachtürme, mit nassen Decken führten sie einen Kurzschluss am elektrischen Zaun herbei und konnten so die Lagermauer überwinden. Viele brachen nach kurzer Flucht aufgrund ihres geschwächten Zustands zusammen oder starben im Kugelhagel der Wachmannschaften. Fast alle übrigen wurden in einer beispiellosen Hetzjagd, an der neben SS, Gendarmerie, Wehrmacht und Volkssturm auch zahlreiche Zivilisten aus der Umgebung beteiligt waren, gefangen und getötet. Die Zurückgebliebenen wurden in ihrer Baracke ermordet.

Nur elf Überlebende
Überlebt haben laut Gedenkstätte Mauthausen vermutlich nur elf Menschen. Zwei von ihnen verdanken dies der oberösterreichischen Bäuerin Maria Langthaler (1888-1975). Sie hatte gemeinsam mit ihrem Gatten Johann in den letzten Kriegsmonaten zwei der Geflohenen auf ihrem Bauernhof in Winden bei Schwertberg (Bezirk Perg) versteckt und so den aus der Ukraine stammenden sowjetischen Kriegsgefangenen das Leben gerettet. Für die Familie war dies mit höchster Lebensgefahr verbunden. Die Geschichte wurde vor allem durch den Film „Vor Feigheit gibt es kein Erbarmen“ von Regisseur Andreas Gruber einer breiten Öffentlichkeit bekannt.

Gedenkwanderung und weitere Veranstaltungen
Die Lokalinitiative perspektive mauthausen lädt anlässlich des 80. Jahrestags der Ereignisse gemeinsam mit der KZ-Gedenkstätte Mauthausen am 2. Februar zu einer Gedenkwanderung von der Gedenkstätte bis zum Denkmal in Ried in der Riedmark ein. Auf dem rund vier Kilometer langen Weg wird die Geschichte der Opfer erzählt und die Frage nach der Verantwortung gestellt. Anschließend findet eine Podiumsdiskussion u.a. mit dem Historiker Matthias Kaltenbrunner und der Zeitzeugin Anna Hackl – der Tochter von Anna Langthaler – statt. Am Tag davor gestalten Michael Köhlmeier, Katharina Stemberger, Gregor Seberg, Tonfabrik & Christian Buchinger eine Kultur- und Gedenkveranstaltung zum Thema im Donausaal Mauthausen.

Auch das restliche Jahresprogramm steht im Zeichen des 80. Jahrestags des Kriegsendes sowie der Befreiung des KZ Mauthausen: Die traditionelle Filmretrospektive in der Gedenkstätte Mauthausen widmet sich heuer dem Thema „Aus dem Lager befreit – das Trauma bleibt…“. Darüber hinaus sind bereits ab Februar im Filmmuseum in Wien jedes Monat Filme zu sehen, die sich mit Nationalsozialismus befassen.

Sonderausstellungen in Mauthausen
In der Gedenkstätte Mauthausen beschäftigt sich der syrische Künstler Judy Mardnli im Rahmen einer Sonderausstellung von Jänner bis November im ehemaligen Reviergebäude mit Wegen in die Freiheit und im Denkmalpark ist ab Mai eine Ausstellung internationaler Erinnerungszeichen zu sehen, die von Opfernationen, Botschaften sowie internationalen Überlebenden- und Opferverbänden organisiert wurde.

Neben zahlreichen Gedenkwanderungen und Themenrundgängen stehen auch die traditionellen KZ-Befreiungsfeiern in Mauthausen sowie in den diversen ehemaligen Außenlagern im Zeichen der 80. Wiederkehr der Befreiung. Die Licht- und Klanginstallation #eachnamematters, die in den vergangenen Jahren am Memorial in Gusen zu sehen war, wird heuer nach Wien geholt: Von 3. bis 5. Mai werden die 84.000 bekannten Namen von Menschen, die im KZ zu Tode kamen, an der Fassade der Hofburg projiziert.

Links:
KZ-Gedenkstätte Mauthausen
Perspektive mauthausen

Gedenken an „Mühlviertler Hasenjagd“
 
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